NEU: VERSAND AUCH NACH ÖSTERREICH UND IN DIE SCHWEIZ

Putsch im Niger - Strom in Deutschland?

Ich habe die Medienreaktionen auf den Putsch im Niger nun eine Weile beobachtet.

Die Medien berichten, doch was manchmal fehlt, ist der Blick auf die Realitäten: Stichwort Bodenschätze, Stichwort Rolle Frankreichs, Stichwort Entwicklungshilfe, Stichwort Migration, Stichwort Korruption, Stichwort letztlich: Geld.

Der aktuelle Putsch betrifft nach dem in Mali und dem in Burkina Faso wieder einen typischen westafrikanischen Vielvölkerstaat, wieder einen Binnenstaat, einen Staat, in dem Tuareg leben, eins der absolut ärmsten Länder der Welt. 

Meine "Putscherfahrungen" in Westafrika

Ich erinnere mich, wie ich nur einen Tag nach meiner Rückkehr aus Ouagadougou die Nachricht von dem Putsch in Burkina erhielt. Sämtliche Grenzen und Flughäfen seien geschlossen worden, hieß es. Dabei galt Burkina Faso bis 2015 als ausgesprochen ruhiges und friedliches, sicheres Land im Vergleich zu den benachbarten Staaten. Zu den Nachbarstaaten gehört neben Mali, das wegen der Bundeswehr-Situation ohnehin ein Begriff ist, auch der Niger. Fast jeder afrikanische Migrant passiert ihn auf dem Weg durch die Sahara - durch unsere namensgebende Stadt Agadez. Von dort geht es oft weiter nach Libyen, seit der Besiegung Gaddafis 2011 ein failed state, faktisch unkontrollierbar und damit ein Paradies für Schleuser und Kriminelle. 

Bei den nigrischen Präsidentschaftswahlen 2016 hatte ich dann wirklich mit dem gerechnet, was nun erst wahr geworden ist. Ich war mit Tuareg unterwegs und insofern möglicherweise einseitig informiert. Aber ich habe von den Sklaven (siehe Sklaverei in Westafrika) bis zu den Adeligen, Schmieden, Frauen und den (nur noch extrem wenigen) Christen unter ihnen mit jeder gesellschaftlichen Gruppe Kontakt gehabt. Wenn damals eines bereits auffällig war, und zwar klassen-, geschlechter- religionen- und ethnienübergreifend, dann war es die vehemente bis aggressive Ablehnung Frankreichs. Bei aufgeheizter Stimmung brannten schon damals westliche Botschaften und sogar Kirchen, ich bin insgesamt eher erstaunt, dass dieser Putsch nicht schon früher kam. 

Kreuz Agadez Hotel

Bild: Meine Unterkunft in Agadez

Was hat das mit uns zu tun?

Deutschland wird mehr und mehr zum Strom-Importeur. Ein großer Teil unseres Stromverbrauchs wird mit französischem Strom gedeckt. Frankreich wiederum importiert zu weit unter dem Weltmarkt liegenden Kosten Uran aus dem Niger, welcher zur Erzeugung von Strom mittels Kernkraft benötigt wird. Ein anhaltendes Export-Verbot für Uran aus dem Niger könnte also in Deutschland für höhere Strompreise sorgen. Dass hingegen in Deutschland eines Tages, wie im Niger, Strom und fließendes (Ab-) Wasser nur noch stundenweise und auch nur für Superreiche zur Verfügung stehen könnten, ist nicht wahrscheinlich.

Angesichts der enormen deutschen Ausgaben für Entwicklungshilfe und Entwicklungshilfeorganisationen wird man allerdings irgendwann die Frage stellen müssen, ob diese Gelder auch sinnvoll eingesetzt werden könnten (siehe Fairer Handel ist besser als Entwicklungshilfe). 

Migration

Was die Frage der Migration durch die Sahara angeht, so mag die neuerlich manifestierte Gesetzlosigkeit in der Region vielleicht gar nicht so viel am Status Quo ändern. Die Zahlen werden zu schätzen und anschließend zu bewerten sein. 

Was heißt das für die Einwohner des Niger?

Kurz: Nichts.

Ärmer, unsicherer und unkontrollierbarer konnte der Niger schon vor dem Putsch nicht mehr werden, er belegt zuverlässig jedes Jahr einen der letzten drei Plätze im Human Development Index der UNO. Insofern ist die Situation natürlich schlimm, aber das ist sie seit Jahrzehnten. Daher kann die Einschätzung, der Niger sei vor dem Putsch vergleichsweise stabil, sicher und zuverlässig gewesen, nur überraschen: Islamistengruppen beherrschen seit Jahren weite Teile des Landes, Weiße können sich im Norden praktisch nicht bewegen ohne entführt zu werden, die Korruption der herrschenden Clans ist uferlos. 

Vielleicht greift nach dem Putsch ein anderer Clan die Entwicklungshilfegelder ab? Vielleicht profitiert von westafrikanischen Bodenschätzen bald nicht mehr Frankreich, sondern Russland?

Letzteres wünschen sich viele in Westafrika. Man hat Frankreich einfach satt, sein Militär, seiner Interventionen, seine Attitüde, sein Geschäftsgebaren, seine Überheblichkeit und sein gerade in traditionellen Gegenden verachtetes Gefüge von Werten und Moral.

Sind das profane postkoloniale Ressentiments?

Spielt der zunehmende Islamismus die entscheidende Rolle?

Oder gar Russland, oder China?

Welche Rolle spielt es, dass fast alle fragilen Staaten der Erde sogenannte Vielvölkerstaaten sind?   

Schließlich hat jedes Volk im aus verschiedensten Ethnien zusammengesetzten Niger eine andere Motivation und andere Bedürfnisse. So ist die Lage der Tuareg in der Sahara anders als die der Haoussa, und in den Grenzgebieten zu Nigeria und Libyen gibt es mit Boko Haram und Al Quaida noch ganz andere Probleme.

Welche Folgen hat also der Putsch?

Dieser Putsch im Niger ist einer von vielen, obwohl er vielleicht derjenige ist, der Deutschland am ehesten betrifft.

Aber er wird die Lage in Afrika nicht ändern. Ob es der von den USA unterstützte ehemalige Präsident oder die neue Militärregierung ist:

Es geht darum, wer künftig den jeweiligen Regierungs-Clan in Niamey bezahlt, um die Bodenschätze aus der Sahara nutzen zu können (siehe Bitterarm trotz Bodenschätzen).

Der Westen ist an allem Schuld.

Das Argument, dass Europa an allem schuld sei, hört man bisweilen. Wer oder was oder welches Europa ist aber gemeint? Und nicht zuletzt: Wer versklavt heute noch (siehe Sklaverei in Westafrika)?

Wir Deutschen haben übrigens weder in Nigeria noch in Westafrika systematisch ausgebeutet und gemordet. Das weiß man auch in Afrika (siehe Baerbock und die Bronzen). Wer Kolonialismus instrumentalisiert, hat keine hehren Absichten.

Und wer das Wort Kolonialismus kennt, der kann am nigrischen Nationalfeiertag, dem Tag der vollständigen Unabhängigkeit des Niger, einfach nur lachen. 

Putsch Niger Westafrika Frankreich

Bild: Innenhofwand einer französischsprachigen Schule in Agadez, Niger. Urheberschaft des Spruches fraglich.

Und die Tuareg?

Jenseits geopolitischer Machtstrategien träumen die Tuareg wieder von ihrem eigenen Staat, der Sahara.

Als sie in Mali vor zehn Jahren den international nicht anerkannten Staat Azawad ausgerufen hatten, war ihr Volk von Libyen über Burkina Faso bis zum Niger begeistert gewesen. Jetzt hoffen sie durch die Schwächung des dritten von fünf Staaten, in denen Tuareg leben, ihrem Ziel deutlich näher zu kommen. 

Ihre Erfolgsaussichten mögen gering sein, aber "Hauptsache nicht mehr Frankreich", was jeder von ihnen unterschreiben würde, scheint für so manchen staatstheoretischen Experten aus vielerlei Gründen nicht mehr allzu utopisch.

Hinterlasse einen Kommentar

Bitte beachten Sie, dass Kommentare vor der Veröffentlichung freigegeben werden müssen