NEU: VERSAND AUCH NACH ÖSTERREICH UND IN DIE SCHWEIZ

Fluchtroute Rückwärts - Deutschland Niger und zurück

Warst du schon einmal in der Sahara?

Damals, bevor Al Quaida kam? Vor den Tuareg-Revolutionen? Bevor die Entführung von Weißen ein lukratives Geschäft wurde?

Ich möchte aber nicht von den Problemen der Sahara-Länder erzählen, nicht über Armut, Migranten und Bruttoinlandsprodukte, nicht über Umweltverschmutzung, Terrorismus und Kinderheirat, nicht über das wirtschaftlich unterentwickelte Afrika mit seinen korrupten Präsidialsystemen und rückständigen Naturvölkern berichten, oder über das, was man sonst so in den Medien hört. Ich möchte von der Schönheit und dem Reichtum der Sahara erzählen.

Es gibt nämlich Hochkulturen in Afrika, Ethnien mit eigener Schrift und Mystik, mit hoher Stellung der Frau, mit beeindruckend hochwertiger Kunst und mit Lebenseinstellungen, von denen auch der weiße Mann noch etwas lernen kann. Ich habe sie in Westafrika getroffen.

Habt ihr Lust bekommen? Dann lasst uns eintauchen in die Welt der Tuareg: Die Sahara...

Niamey, Niger: Ankunft im ärmsten Land der Welt

Wer direkt in den Niger fliegt, landet in Niamey, die an den Strom Niger geschmiegte bunte, heiße und bitterarme Hauptstadt. Die flachen Silhouetten der eingeschossigen Lehmbauten mit ihren Wellblechdächern, die wackligen Stände der unzähligen Straßenhändler, die sandigen Pisten mit riesigen Schlaglöchern, die wie aus dem Nichts am Fahrbahnrand auftauchenden Kühe und Schafe, die Müllberge am Straßenrand - für europäische Sinne ein Kulturschock.

Die Luft riecht nach am Straßenrand verbranntem Plastik, vor den Hütten sitzen Menschen an den Straßen, Männer und Frauen getrennt. Verlässt man die wenigen asphaltierten Straßenabschnitte und bewegt sich auf abenteuerlichem Grund durch sandige Schlaglöcher zwischen Plastik fressenden Ziegen hindurch tiefer in die Stadt hinein, so bemerkt man die vielen Kinder: Fast jede Frau trägt ein kleines Kind in ein Tuch gebunden auf dem Rücken.

Blick auf ein eher wohlhabendes Wohnviertel von Niamey, Hauptstadt des Niger

Mit dem Landcruiser durch den Niger

Mehrmals bin ich von Niamey aus mit dem Auto Richtung Norden, Richtung Sahara gefahren. Die Straße nach Agadez ist so schlecht, dass man sie kaum als solche erkennt, streckenweise besteht sie nur aus verrottenden Asphaltflecken im Sand. Häufig muss man außerhalb der kleinen Ortschaften abrupt bremsen, wenn Esel, Kamele oder überladene Kleintransporter plötzlich im Sand auftauchen. Das wenige Grün verschwindet während der Fahrt in Richtung Norden mehr und mehr.

Tahoua - immer weiter Richtung Sahara

Bei der Stadt Tahoua, welche noch zur Sahelzone gehört, werden die ersten Sahara-Ausläufer eindrücklich: Die lehmige Erde wird gelber und sandiger, die Vegetation flacher. Die Bäume werden weniger, alles Grün scheint immer mehr im Erdboden zu verschwinden. Viele Bäume wirken abgestorben, sie zeigten ihr graubraunes, dürres Sehnen nach Wasser und Leben.

Wüstenblume in der Sahara während der Regenzeit

„In der Regenzeit ist hier alles grün“, erklärt unser Fahrer Abdoulaye, „'Aman Iman', das ist Tamasheq und heißt 'Wasser ist Leben'. Und Milch ist Nahrung. So sagen wir Tuareg.“ Man spürt förmlich die nahende Sahara. Nur Dünen, Sand, Himmel und Sonne, so lange, bis der Sand vor den Augen Formen annimmt und jedes Korn sich von dem anderen unterscheidet...

Öl, Gold, Archäologie und ganz viel Uran

Sahara, die Wüste, in welche nur Menschen reisen, die das Licht suchen? Fernab von der Romantik des „Kleinen Prinzen“ suchen heute vor allem ausländische Investoren etwas in der Sahara: Nämlich Bodenschätze, die in einem Ausmaß vorhanden waren, welches die Sahara-Länder zu den reichsten der Welt machen könnte. Auch für Paläontologen und Archäologen ist der besondere Teil der Sahara, die Ténéré-Wüste, die direkt hinter Agadez beginnt, von großer Bedeutung: Hier hat man neben Felszeichnungen aus der Jungsteinzeit und anderen Fossilien sogar Dinosaurier-Skelette gefunden.

Dinosaurier Skelett Sahara, im Nationalmuseum Niger

Die ersten Tuareg-Zelte

Wir fahren weiter. Das Land ist flach. Auf manchen Streckenabschnitten verschwinden der Sand und die flachen Dornbüsche neben der Straße langsam in Stein und Geröll, die Sahara ist zu achtzig Prozent eine Stein- bzw. Felswüste.

Ab und zu passieren wir Siedlungen und kleine Dörfer mit den typischen runden Lehmhütten, die mitten in die Landschaft gekleckst sind. Aufgrund der ewigen Hitze geht hier nichts schnell. Alle bewegen sich langsam, die Frauen in ausladenden Wiegeschritten, die Männer bedächtig. Wenn jemand nichts zu tun hat, legt er sich nieder, sei es auf dem Markt, sei es neben seinen am Straßenrand aufgebauten Waren.

Je weiter man nach Norden kommt, desto häufiger sieht man in einiger Entfernung von der Straße Tuareg-Camps. Die Reicheren besitzen Viehherden und Lederzelte, die Ärmeren binden Plastiktüten aneinander.

Agadez - das Tor zur Sahara

Endlich passieren wir die Einfahrt von Agadez.

Müll am Stadtrand von Agadez, Niger

Die Stadt Agadez am Südrand der Sahara ist mit all ihrer Schlichtheit und Armut unstet. Hier beginnt die Wüste, von der man sagte, sie „tötet alle, die keine Achtung vor ihr haben, sie überhöht Verdienste und verschlimmert Fehler" (Mano Dayak, Tuareg-Aktivist). Die flachen Lehmgebäude der Stadt müssen regelmäßig erneuert werden um nicht im Sand zu versinken. Bei der Einfahrt wirkt Agadez wie eine verlassene Industrieruine: Überall verlassene und im Sand versinkende Hütten, nachlässig installierte und ungewartete Stromleitungen entlang der einzigen asphaltierten Straße, an den Stadträndern riesige Müllhalden, auf denen Kühe und Ziegen weiden. Und wieder viele spielende Kinder, direkt neben den Feuern, durch welche man der Plastikberge Herr zu werden versucht.

Straße im Zentrum von Agadez

Das alles war nicht immer so: Agadez war aufgrund seiner Lage an einer jahrtausendealten Handelsroute bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein prosperierendes Handels-, Kultur- und Tourismuszentrum. Doch heute stehen die Hotels leer. Der stadteigene Mano-Dayak-Flughafen, den noch um die Jahrtausendwende mehrere tägliche Direktflüge mit Paris verbanden, liegt heute brach. Terroristen wie Al Quaida im Maghreb treiben in der Gegend ihr Unwesens, die Sicherheitslage ist prekär. Wo früher Mittelklassetouristen die transzendente Mystik der Sahara erlebten und so den Wüstenbewohnern ihren Lebensstandard sicherten, liegen Minen aus vergangenen Schlachten.

Doch in der erbarmungslosen Sonne über Agadez hängen auch heute noch Träume wie aus Nebel. Agadez ist nicht nur das Tor zur Sahara, Agadez ist in Zeiten von Flucht und Migration auch zum Tor nach Europa geworden: Die Mehrheit der Subsahara-Afrikaner, die sich auf den Weg nach Europa machen, passieren auf ihrer Fluchtroute Agadez. Nicht nur während meiner ersten Reise nach Agadez im Spätsommer 2015 prägten sie das Bild der Stadt: Überall wartende junge Männer, Sprachen aus dem ganzen afrikanischen Kontinent.

"Wir sind arm, aber wir lächeln" - Tuareg als Flüchtlinge?

Die ortsansässigen Tuareg reisen nicht aus. Tuareg und Sahara, das ist eine untrennbare, tief verwurzelte Einheit, die dem Europäer wohl nie ganz begreiflich sein wird. Unter Tuareg ist es tabu nach Europa zu flüchten. „Keiner meiner Leute will zu euch, wir gehören in die Sahara!“ warnt mich ein befreundeter Arzt mit ernstem Lächeln: „Wenn du einen meiner Leute bezirzt, sodass er mit dir nach Europa gehen will, dann bekommst du ein Problem mit mir. Wir brauchen sie nämlich hier!“

„Ein Tuareg muss in der Sahara sein!“

Das erklärt mir auch Tuareg Rhissa:

„Niemand von uns will für immer in Europa leben. Bei euch ist man reich und einsam. Wir sind arm, aber wir lächeln. Wir gehören hierher, wir sind die Sahara! Wenn sie untergeht, dann gehen wir mit ihr. Aber sie wird nicht untergehen, Inchallah. Ein Tuareg kann ohne die Sahara nicht leben. Es mag welche geben, die um des Geldes willen gehen. Aber sie werden bei euch nicht glücklich sein. Sie werden einsam und leer sein und sich immer nach ihrem ersten Lagerplatz sehnen!“

fröhliche junge Tuareg-Frauen in Agadez

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