Korruption und Vetternwirtschaft in Afrika - Perspektivenwechsel
"Vetternwirtschaft ist nichts Schlechtes, wenn jeder dein Cousin ist!"
... so sagte mir ein junger Student in der nigrischen Stadt Tahoua, als er einen Job als Krankenpfleger im Krankenhaus seines Onkels bekommen hatte, ohne einen Schulabschluss oder irgendeine sonstige Qualifikation zu haben.
Korruption in Afrika - das ist schlecht, das ist nicht wie bei uns, so wird das nie etwas mit Afrikas Wirtschaft! So oder so ähnlich klingt es, wenn wir Europäer über die Ursachen der Armut in Afrika nachdenken.
Wir wollen an dieser Stelle weder Ressentiments schüren noch kriminelle Regierungen exkulpieren, sondern um ein wenig Verständnis für die kulturellen Unterschiede zwischen Europäern und Afrikanern, Deutschen und Tuareg werben.
Wer gehört "zu uns", wer nicht?
Dazu muss man anmerken, dass die staatstheoretische Idee von Nationen als solchen in Afrika noch recht jung ist: Die heute bestehenden Staatsgrenzen führen häufig mitten durch Siedlungsgebiete von Volksgruppen (so ist etwa das Siedlungsgebiet der Tuareg, die Sahara, aufgeteilt in die Länder Mali, Niger, Algerien, Libyen und Burkina Faso). Die so entstandenen äußerst heterogenen Staaten waren bislang nicht in der Lage die identitätsbildenden Bezüge der Menschen zu ihrer jeweiligen Ethnie zu ersetzen, sodass die Volksgruppe nach wie vor für viele Afrikaner den Hauptbezugspunkt des Gemeinswesens darstellt. Diese Volksgruppen weisen jeweils auch klar benennbare Verwandtschaftsverhältnisse auf, für die Gruppe der Tuareg lässt sich mithin sagen: Jeder kennt jeden, und jeder ist mit jedem irgendwie verwandt - wobei die Bezeichung "Cousin" oder "Onkel" in der Regel für jeden Anverwandten benutzt wird und nicht nur für Cousins und Onkel im engeren Sinne.
Ehrensache: Wenn der Clanchef Audienz hält, sind alle dabei:
Familie ist alles!
Hat man also beispielsweise einen Job zu vergeben, so vergibt man ihn an jemanden aus der Familie. Hat man eine Tochter zu verheiraten, so verheiratet man sie an jemand aus der Familie. Braucht man Hilfe, so wendet man sich an die Familie.
Da dieses Prinzip auf absoluter Gegenseitigkeit beruht und auch notwenig ist, da auf den Staat als solchen in keiner Hinsicht Verlass ist, ist es eine zuverlässige Stütze und eine unabdingbare Lebensgrundlage, besonders für die oft weit verstreut lebenden Clans der Tuareg in Sahel und Sahara.
Familienfeier bei den Tuareg:
Eine Anekdote von vielen...
In den meisten Ländern Afrikas ist es Einreisebedingung gegen Gelbfieber geimpft zu sein: Obwohl es eine nebenwirkungsreiche Impfung ist und es im Niger kein Gelbfieber gibt, hatte ich mich Monate vor meiner Reise bei einer deutschen "Gelbfieber-Impfstelle" impfen lassen und dies auch im gelben WHO-Heftchen dokumentiert. Nun stieg ich in Niamey aus dem Flugzeug und suchte das Heftchen vergeblich: Ich hatte es vergessen. Die nigrischen Zollbeamten reagierten recht ungehalten, meine Einreise verzögerte sich immer mehr, und schließlich boten sie an mir eine erneute Impfung zu verkaufen. Während ich nun auf diese wartete, betraten meine Gastgeber den Warteraum. Es war für afrikanische Verhältnisse eine reiche Familie, manche Familienmitglieder waren Politiker, andere Zöllner, Ärzte und NGO-Mitarbeiter. Sie sprachen in Haoussa mit den Flughafen-Mitarbeitern und plötzlich hieß es, ich dürfe einreisen, ich sei schließlich Gast der Familie XY. Bis heute frage ich mich, ob sie sie bestochen, bedroht oder bezirzt haben, dass ich ohne jeglichen Impfnachweis und ohne erneute Impfung einfach so einreisen konnte - klar gegen die rechtliche Vorgabe.
Aber ich habe nicht gefragt. Ich war geimpft, ich konnte es nur nicht nachweisen, insofern schien es mir erst im Nachhinein problematisch, dass ich von etwas profitiert hatte, was man eigentlich als in Deutschland Aufgewachsener so vehement ablehnt...